Mit der Mind-Body Therapie von ME/CFS und Long Covid heilen

Mind-Body-Therapien bei ME/CFS und Long Covid

Kennst du die Situation, dass du dich auf ein wichtiges Meeting oder eine Prüfung vorbereitest, und allein der Gedanke daran schon körperliche Reaktionen hervorruft? Üblich sind Symptome wir erhöhter Herzschlag, schwitzige Hände oder eine flache Atmung. Wenn dir das bekannt vorkommt, hast du das Grundprinzip der Mind-Body Therapie schon verstanden. Der Ansatz der Mind-Body Connection geht davon aus, dass viele körperliche Beschwerden, insbesondere chronische und „unerklärliche“ Krankheiten, auf chronischen Stress und tief verwurzelte emotionale Konflikte und Traumata zurückgeführt werden können. Demnach sind emotionale Zustände wie Angst, Depression, Stress oder unverarbeitete traumatische Erlebnisse in der Lage, körperlichen Symptomen und Syndrome zu verursachen. Beispiele sind Fibromyalgie, Reizdarmsyndrom (IBS) aber auch die „Multisystem-Erkrankungen“ ME/CFS oder Long Covid.

In diesem Beitrag möchte ich den Ansatz der Mind-Body Connection genauer erklären und aufzeigen wie Mind-Body Syndrome entstehen können. Außerdem möchte ich einen Überblick über die verschiedenen Ansätze der Mind-Body Therapie geben, die bei der Heilung ME/CFS oder Long Covid unterstützen können.

Die Theorie hinter der Mind-Body Therapie: Die Mind-Body Connection

Die Theorie der Mind-Body Connection geht davon aus, dass Gedanken, Gefühle und körperliche Reaktionen eng miteinander verwoben sind. Neben dem oben genannten negativen „Meeting-Beispiel“ gibt es aber auch positive Aspekte der Mind-Body Verbindung. Der Bekannteste ist wohl der Placebo-Effekt. Er beschreibt das Phänomen, bei dem die Gesundheit einer Person sich verbessert, nur weil sie glaubt, eine wirksame Behandlung erhalten zu haben. Anstatt eines Wirkstoffes hat sie jedoch ein Placebo erhalten. Diese Beispiele aus der Neurowissenschaft zeigen, wie stark unsere Gedanken unser körperliches (Un-)Wohlbefinden beeinflussen können.

Wie entstehen Mind-Body Symptome?

Um zu verstehen, wie Mind-Body Symptome entstehen, lohnt sich ein Blick in die Polyvagaltheorie (mehr dazu hier). Diese Theorie zeigt, wie unser Nervensystem optimalerweise dynamisch zwischen verschiedenen Zuständen wechselt. Bei Gefahr (früher in Gestalt eines Säbelzahntigers, heute in Form eines schwieriges Meeting) aktiviert das Nervensystem den Kampf- oder Fluchtmodus. Dieser wird vom sympathischen Zweig des autonomen Nervensystems gesteuert. Ist die Gefahr vorbei, schaltet sich der parasympathische Zweig ein, insbesondere der ventrale Vagus, und Entspannung kann wieder einkehren.

Wird Stress allerdings chronisch, führt das dazu, dass unser Nervensystem ständig im Sympathikus bleibt. Das wiederum wirkt sich negativ auf das endokrine, das Immun-, das Herz-Kreislauf-, Atem-, Verdauungs- usw., – kurz – auf alle Systeme im Körper aus. Erste körperliche Anzeichen eines konstant dysregulierten Nervensystems kommen in allen Formen und Farben. Typisch sind Schlafstörungen, Tinnitus, Herzrasen, Haut- & Verdauungsproblem, Kopf- und Rückenschmerzen und viele weitere körperliche und auch psychische Beschwerden. Diese „Hilferufe“ des Körpers können klare Anzeichen dafür sein, dass die eigene Stress- & Belastungsgrenze (auch „Toleranzfenster“ genannt) bereits überschritten ist. In der Folge braucht es dann oft nur noch einen einzigen Auslöser, wie zum Beispiel eine Virus-Infektion (z.B. Covid) oder ein traumatisches Ereignis (ein Unfall, die schwierige Geburt eines Kindes), und das ganze System crasht.

Welche Ansätze der Mind-Body Therapie gibt es?

Ziel der Mind-Body Therapie ist es, das dysregulierte Nervensystem durch die Arbeit mit Geist und Körper wieder in Balance zu bringen. Mithilfe verschiedener „Top Down“ und „Bottom Up“ Methoden können Selbstheilungskräfte aktiviert werden. So wird peu à peu die sogenannte Homöostase, also der Gleichgewichtszustand der körpereigenen Systeme, wieder hergestellt. In der Folge verbessert sich der gesundheitliche Zustand und Symptome nehmen ab. Im Bestfall ist so eine Komplette Heilung von ME/CFS, Long Covid und auch anderen chronischen Erkrankungen möglich. Im emmy-Podcast findest du übrigens viele Heilungserfahrungen von Menschen, die bereits komplett genesen sind.

Top-Down Ansätze

Top-Down“-Ansätze arbeiten von „oben“ nach „unten“, das heißt, sie nutzen den Geist, um den Körper zu beruhigen. Diese Therapien setzen an kognitiven und emotionalen Prozessen an, um körperliche Reaktionen zu verändern. Diese Techniken verändern die Wahrnehmung und Interpretation von Symptomen, wodurch der Stress reduziert und das Nervensystem beruhigt wird.

  1. Achtsamkeitsbasierte Stressreduktion (MBSR)
    MBSR, entwickelt von Jon Kabat-Zinn, verbindet Achtsamkeitsmeditation und sanfte Yoga-Übungen, um Stress und negative Emotionen abzubauen. Bei ME/CFS und Long Covid hilft Achtsamkeit, den das Nervensystem zu beruhigen. Die Fokussierung auf den gegenwärtigen Moment und verschiedene Empfindungen im Körper kann Gelassenheit gegenüber Symptomen und den täglichen Herausforderungen der Erkrankung fördern.
  2. Brain Retraining (Gehirntraining)
    Brain Retraining basiert auf der Idee, dass das limbische System bei chronischen Erkrankungen wie ME/CFS und Long Covid überaktiv reagieren. Deshalb zielen Programme wie das „Gupta-Programm“, „Dynamic Neural Retraining System (DNRS)“ und „HEAL“ darauf ab, die neuronalen Bahnen im Gehirn neu zu programmieren und das Nervensystem zu beruhigen. Betroffene lernen hierfür, negative Denkmuster und körperliche Stressreaktionen zu erkennen und mit diversen Techniken umzuleiten. Alle drei Programme, wenn auch in älteren Versionen, sind übrigens auch auf Deutsch erhältlich.
  3. Somatic Tracking
    Somatic Tracking ist ebenfalls eine (Brain Retraining-)Technik, bei der Betroffene lernen, ihre körperlichen Symptome auf eine urteilsfreie Weise zu beobachten. Anstatt gegen Schmerzen oder Erschöpfung anzukämpfen, werden die Symptome bewusst wahrgenommen und dabei geübt, eine Angst- und Stressreaktion zu vermeiden. Indem das Gehirn lernt, auf Symptome weniger intensiv zu reagieren, kann der Kreislauf aus „Stress verursacht Symptome und Symptome verursacht Stess“ unterbrochen werden.
  4. Journal Speak
    Journal Speak, entwickelt von Nicole Sachs, ist eine Methode des therapeutischen Schreibens. Hierbei werden negative Emotionen und innere Konflikte in einer ungefilterten Weise (möglichst in der Sprache eines 5-7 Jahre alten Kindes) ausgedrückt. Viele Patient*innen mit ME/CFS und Long Covid tragen emotionale Belastungen oder unverarbeitete Traumata mit sich, die unterbewusst chronischen Stress auslösen. Durch das regelmäßige Schreiben im Rahmen von Journal Speak können diese tiefliegenden aber auch akute emotionale Spannungen abgebaut werden.

Buttom-Up Ansätze

Bottom-Up-Ansätze hingegen wirken von „unten“ nach „oben“, indem sie direkt auf den Körper und das Nervensystem einwirken, um den Geist zu beeinflussen. Hier werden körperliche Techniken eingesetzt, um das Nervensystem zu regulieren und dadurch geistige Entspannung zu fördern. Diese Ansätze beruhigen körperliche Stressreaktionen, die sich positiv auf die mentalen Zustände auswirken.

  1. Yoga und sanfte Bewegungstherapien
    Yoga, Tai Chi und Qigong sind Bewegungstherapien, die das Körperbewusstsein fördern und gleichzeitig den Geist beruhigen. Für ME/CFS- und Long Covid-Patient*innen, die anfällig für Überanstrengung sind, ist es wichtig, sanfte, achtsame Bewegungen durchzuführen. Diese Übungen helfen, die Flexibilität zu verbessern, die muskuläre Entspannung zu fördern und das Nervensystem zu stabilisieren. Auf dem Youtube-Kanal von @Bloom_Holistic_Yoga gibt es einige Yoga-Sequenzen, die speziell auf die Bedürfnisse von Betroffenen zugeschnitten sind.
  2. Somatic Experiencing
    Somatic Experiencing (SE), entwickelt von Dr. Peter Levine, ist eine körperorientierte Therapie, die darauf abzielt, traumatische Erlebnisse, die im Nervensystem „eingefroren“ sind, zu lösen. Viele ME/CFS- und Long Covid-Patient*innen leiden unter langanhaltendem Stress und einer Dysregulation des Nervensystems. SE arbeitet daran, körperliche Empfindungen und Spannungen die hinter den Symptomen liegen, bewusst zu erleben und zu lösen.
  3. Atemübungen und Atemtherapie
    Viele Long Covid-Patient*innen leiden unter Atemproblemen, die sind durch Atemtherapie lindern können. Deshalb können spezielle Atemübungen helfen, die Lungenkapazität zu verbessern und gleichzeitig das Nervensystem zu beruhigen. Auch bei ME/CFS kann die bewusste Steuerung der Atmung helfen, körperliche Erschöpfung zu lindern und Stressreaktionen zu mindern. Von einer Freundin wurde mir der deutschsprachige Podcast Breathing Space von Geeta Ghosh empfohlen. Hier findest du jede Menge Atemübungen, ein bisschen Theorie und noch mehr Inspirationen zum Thema Nervensystemregulierung.

Potenziale der Mind-Body Therapien

Mind-Body Therapien bieten bei ME/CFS und Long Covid wertvolle Unterstützung, indem sie das Nervensystem beruhigen. Diese Ansätze, können zwar keine Heilung garantieren, unterstützen aber die Aktivierung von Selbstheilungskräften und tragen in jedem Fall zum physischen und psychischen Wohlbefinden bei.